Breite Schultern, schmale Hüften und dicke Muskelpakete: Körperlich muss der Mann heute einiges bieten können, denn Bierbauch und Fernsehsessel sind out, und der schmächtige Softie ist schon lange von gestern. Hochglanzmagazine, Werbung und Hollywood beflügeln diesen Trend, und immer mehr Männer lassen sich von der simplen Botschaft mitreißen: Mit Bizeps und Waschbrettbauch kommt der Erfolg im Beruf, bei den Frauen und nicht zuletzt beim Sex. Doch der Schönheitskult hat Schattenseiten.
„Adonis-Komplex“ nennt Harvard-Professor Harrison Pope das Phänomen. Die Folgen der Orientierung an einem nahezu unerreichbaren Ideal sind unterschiedlich: Während die einen versuchen, ihrem Wunschkörper mit Diäten näher zu kommen, trainieren die anderen sich Muskelberge an. Im Gegensatz zur Anorexie stellt die so genannte Muskeldysmorphie eine relativ neue Erscheinung dar.
Äußerlich sind die Muskelsüchtigen zwar ein völlig anderer Typ als Magersüchtige, aber beides ist eine Zwangskrankheit. „Wesentliches Kennzeichen ist, dass die Gedanken ständig darum kreisen, wie unzureichend muskulös man doch ist“, sagt Pope. Das gehe so weit, dass sich sogar Top-Bodybuilder für schmächtig hielten und am Strand nur im Sweat-Shirt herumliefen, um ihre „Spaghetti-Ärmchen“ zu verbergen.
Um ihr angestrebtes Idealbild zu erreichen, stellen viele Personen mit Muskeldysmorphie ihr ganzes Leben auf ihr Trainingsprogramm und die dazugehörende Ernährung ab. Manche treiben es so weit, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren oder von ihrer Partnerin verlassen werden. Dennoch leben sie in der Überzeugung: „Wenn ich erst den perfekten Waschbrettbauch habe, werden sich alle Probleme von selbst lösen.“
Die Ursachen der Muskelsucht sind noch größenteils unerforscht. Amerikanische Mediziner haben im Gehirn von Muskelsüchtigen einen Mangel des Botenstoffs Serotin festgestellt. Dadurch hätten die Patienten dauernd das Gefühl, dass mit ihnen etwas nicht stimme. Eine medikamentöse Behandlung kann helfen – bringt aber allein noch keine Heilung, betonen die Forscher.
Entscheidend ist nach Meinung aller Experten die soziale und psychologische Komponente – der Druck durch den allgegenwärtigen Körperkult. Die Actionmänner aus Plastik, mit denen fast jeder amerikanische Junge spielt, haben ihre Bizepsgröße binnen 20 Jahren verdoppelt. Fernsehreklame für Hanteln und andere Fitnessgeräte ist in den USA so häufig wie in Deutschland Waschmittelwerbung. Auf zahllosen Zeitschriftentiteln lassen Bodybuilder die Muskeln spielen.
Vergessen wird dabei oftmals, dass die für solche Idealproportionen nötige Veranlagung selten ist. So sind denn auch gefährliche Schwarzmarktdrogen zum Muskelaufbau weit verbreitet, und viele Männer riskieren dauerhafte körperliche Schäden.
Ironie des Schicksals: Mehrere Untersuchungen in den USA und Europa haben ergeben, dass junge Frauen einen normalen Körperbau bevorzugen und Muskelprotze abschreckend finden.
[…] „Schönheit ist ein gar willkommener Gast“, sinnierte dereinst Goethe. Sie verschafft den Menschen schon früh Vorteile: Schöne Babys bekommen mehr Aufmerksamkeit, schöne Kinder die besseren Schulnoten. Das steigert das Selbstbewusstsein, macht Mut und schafft Überzeugungskraft. Effekt: Schöne Menschen finden später schneller einen Job. Davon sind mehr als 93 Prozent von insgesamt 1300 Personalchefs der größten Unternehmen in den USA und Großbritannien überzeugt, die die New Yorker Universität Syracuse dazu befragte. Der Vorteil einer hübschen Fassade lässt sich sogar in Euro und Cent zählen: Wer gut aussieht, verdient bei gleicher Qualifikation bis zu fünf Prozent mehr als seine durchschnittlich attraktiven Kollegen. Das fand Daniel Hamermesh von der Universität Texas heraus. […]