Essen – Einen Killer stoppen, Geheimcodes knacken, eine Segelregatta gewinnen, eine Burg gegen Angreifer verteidigen oder schlicht die gesamte Menschheit retten – das kann jeder. In der Welt der Spiele. Und zwar – wohlgemerkt – in der analogen Variante.
Karten-, Brett- und Würfelspiele erfreuen sich mitten in digitalen Zocker-Zeiten enormer Beliebtheit. Das zeigt sich zur Spiel ’18 in Essen, der am Donnerstag startenden weltgrößten Publikumsmesse für Gesellschaftsspiele.
Gefragt sind Party- und Aktionsspiele, Varianten mit Würfeln und Karten, Angebote für Familien, Kinder und – recht neu – auch für junge Erwachsene, sagt Hermann Hutter vom Branchenverband Spieleverlage am Mittwoch. VR-Brille und Controller bleiben dann liegen, Laptop, Playstation und Computer aus. Bildschirmpause. Ein «goldenes Zeitalter» für analoge Spiele sieht die Branche.
Früher sei man als spielender Erwachsener oft als sonderbar belächelt worden, sagt Dominique Metzler vom Friedhelm Merz Verlag, der die intenationale Messe veranstaltet. Dann habe sich ein Bewusstseinswandel vollzogen, das Spielen sei nun breit akzeptiertes, gefragtes Hobby. In der analogen Community sind die jungen Erwachsenen ab 16 Jahre aufwärts relativ neu, beobachtet Hutter. Was dort früher oft als «unpopulär und unsexy» galt, sei heute starker Trend, auch häufig in Studentenkreisen.
Warum spielen die Menschen, Alt und Jung, so gerne? «Unsere Kultur ist ohne gar nicht denkbar. Wie Lesen und Sprechen gehört auch das Spielen zu unseren Ausdrucksmöglichkeiten, ist eine Kulturtechnik», sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Und: «Es gibt wenige Orte, wo wir unsere Emotionen so rauslassen dürfen.» Ärgern, jubeln, schreien, lauthals lachen – alles erlaubt.
Ein weiterer Faktor: Egal, ob man Karten kloppt, die Würfel fallen lässt, in eine Fantasy-Welt eintaucht, Kriminalfälle löst oder eine aztekische Tempelstadt ausbaut – häufig ist das Glück mit von der Partie. Wissen und Können allein entscheiden nicht. «Der Zufall spielt mit, man muss nicht studiert haben, um zu gewinnen, das macht das Spielen auch demokratisch», sagt Zimmermann. Positiv sei, dass die Leute wieder zusammen spielen wollten. Gemeinschaft, Wir-Gefühl, die Fähigkeit, sich zu integrieren, Teams zu bilden, Wertschätzung – alles nicht zu unterschätzen.
Analoge Spiele «bieten eine soziale Interaktion, die digitale Spiele nicht bieten können», findet Hutter. Zwar falle der digitale Games-Markt mit rund zwei Milliarden Umsatz ungefähr viermal so groß aus wie bei der analogen Schwester. Deren Wert aber mit Blick auf die positiven Folgen für die Gesellschaft – Rücksichtnahme, Vertrauen, Einfühlungsvermögen – werde nicht fair anerkannt.
Spiele können geistig herausfordern, Konzentration und Interesse bei Kindern fördern oder auch die Fingerfertigkeit trainieren, sagen Experten. Quiz-Partyspiele vermitteln zudem Wissen. Zentral bleibe aber das Vergnügen, sagt auch der Kulturrat. Zimmermann: «Lernen ist eher ein positiver Kollateralschaden des Spielens.»
Was kommt neu auf den Spieltisch? Generell stehen kooperative Varianten hoch im Kurs – also: Alle treten zusammen gegen das Spiel an. Unter den 1400 Neuheiten der 1150 Anbieter aus 50 Ländern – ein Rekord – wird als erstes «Unique Game» in Essen «Discover» präsentiert: In jeder Schachtel fallen einige Komponenten unterschiedlich aus – es ist zwar dasselbe Spiel, aber jeweils in einzigartiger Variante.
Als besonders innovativ wird «Cool Runnings» gekürt, ein Laufspiel mit Eiswürfeln. Sind sie geschmolzen, heißt es «game over». Den «Deutschen Spiele Preis 2018» erhält in der Kategorie Familie-Erwachsene das Taktikspiel «Azul». In der Klasse Kinderspiel gewinnt «Memoarrr!», eine Schatzsuche nach Memory-Art.
Mehr als 180.000 Spielefans werden bis Sonntag in Essen erwartet. In analoge Spieler und digitale Gamer zu unterteilen, wird von manchen als künstlich und inzwischen auch überholt angesehen. Viele Menschen bewegten sich in beiden Spielewelten, sagt Zimmermann. Dass analoge Spiele von der elektronischen Konkurrenz irgendwann verdrängt werden – wie häufig prognostiziert – sei nicht zu befürchten, sagt er. Und: «Die Menschen werden immer spielen. Das wird nie aussterben.»
Fotocredits: Roland Weihrauch
(dpa)